Impostorphänomen
“Ich weiß, dass ich nichts weiß“ ~ Sokrates
Das Impostorphänomen (oder auch Hochstapler-Selbstkonzept) geht auf Pauline Rose Clance und Suzanne Imes zurück. Den beiden Forscherinnen fiel auf, dass objektiv erfolgreiche, kompetente und intelligente Menschen mit hochwertigen Abschlüssen häufig unter starken Selbstzweifeln leiden. Von anderen sehr geschätzt und anerkannt, fühlen sich die Betroffenen von außen einfach nur überschätzt. So ergibt sich ein Maskeneffekt, bei dem die Betroffenen den Eindruck haben, ihr eigener Eindruck passt nicht mit dem zusammen, was andere in ihnen sehen. Sie fühlen sich als Betrüger und leben in der permanenten Angst, dass dieser Schwindel auffliegen könnte (“Die anderen halten mich für so clever, dabei bin ich das doch gar nicht. Irgendwann werden sie es merken. Davor habe ich Angst!“).
“In Wirklichkeit ringe ich damit etwas zu erreichen. Ich komme mir immer wie ein Betrüger vor“ ~ Jodie Foster
Betroffene des Impostorphänomens werten ihre objektiven Erfolge als Glück, Zufall, gutes Timing oder Fehler in der Testauswertung. Auch die Sympathie oder die gute Beziehung zu einer Lehrperson sehen sie als Ursache für ihren Erfolg an. Das Examen bestanden? Ja, aber nur, weil ich eine leichtere Prüfung hatte, als die Studenten im Vorjahr. Ja, aber nur weil mich der Prof. mochte. Ja, aber nur weil die Uni dieses Jahr weniger Studenten durchfallen lassen hat, als im letzten Jahr. Ja, aber da muss ein Fehler im System vorgelegen haben. Bestimmt ist das Prüfungsamt in der Zeile verrutscht und die gute Note gilt eigentlich meinem Kommilitonen.
Betroffene des Impostorphänomens werten ihre Erfolge nicht als das Ergebnis ihrer eigenen Fähigkeiten. Sie denken, den Erfolg habe ich eigentlich gar nicht verdient.
“Alle halten mich für klug. Hoffentlich merkt keiner den Betrug. Denn das ist alles nur geklaut. Das ist alles gar nicht meine. Das ist alles nur geklaut. Doch das weiß ich nur ganz alleine“ ~ Die Prinzen, Song: Alles nur geklaut.
Betroffene des Impostorphänomens können ihre Erfolge nicht geniessen. Sie leiden unter der Anerkennung von außen, der Macht, dem Status, dem guten Gehalt – denn eigentlich steht ihnen gefühlt nichts davon zu. Ihre objektiven Erfolge erhöhen somit nicht das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, sondern führen zu Versagensängsten. Es handelt sich beim Impostorphänomen um ein inadäquates Selbstbild von meist hoch kompetenten Menschen. Betroffene haben einen maladaptiven Persönlichkeitsstil, jedoch keine psychische Erkrankung (Diese kann sich allerdings mit der Zeit aus dem IP entwickeln).
“Mit dem Wissen wächst der Zweifel“ ~ Goethe
Menschen, bei denen das Impostorphänomen zu finden ist, bewerten ihre Leistungen schlechter als sie wirklich sind. Vergleicht man Leistungen von Menschen mit und ohne Impostorphänomen, lässt sich innerhalb der Leistungen kein Unterschied feststellen. Es handelt sich demnach um einen rein subjektiven Eindruck (“Ich bin nicht so gut, wie alle denken“). Betroffene der Impostorphänomens sind sich immer ihrer eigenen Wissenslücken bewusst. Sie wissen, was sie alles nicht wissen.
Sie fühlen sich oft falsch platziert – wie ein schwarzes Schaf inmitten einer Herde aus weißen Schafen. Zu den Dimensionen des Impostorphänomens gehören laut Clance:
? Die Überzeugung andere zu täuschen und von ihnen überschätzt zu werden
? Die Überzeugung, Lob & Anerkennung nicht verdient zu haben
? Die Überzeugung, dass der eigene Erfolg auf Glück, Zufall, Timing oder wohlwollenden Beziehungen beruht
? Die Angst, dass andere die eigene (vermeintliche) Inkompetenz entdecken werden
„Ich habe ständig Angst zu versagen und dass jemand herausfindet, dass ich eigentlich nichts kann“ ~ Tom Hanks
Die Forscherin Clance beschreibt Charakteristika des Impostorphänomens. Je mehr Punkte zutreffen, desto stärker ist das IP augesprägt:
1. Hochstapler-Zyklus
Er gleicht einem Teufelskreis. Schau dir diesen in meinem Beitrag bei Instagram an.
2. Der/Die Beste sein zu wollen
Im Vergleich zu den anderen wollen Betroffene des IP nicht einer der Besten, sondern die Besten sein.
3. Superman-/woman-Komplex
Betroffene des IP spüren einen hohen Leistungs- und Perfektionsdruck. Es gibt überhöhte Selbstansprüche.
4. Angst vorm Scheitern
Die Vorstellung versagen zu können ist unaushaltbar. Manchmal wird die eigene Daseinsberechtigung an die eigenen Listungen geknüpft (“Ich bin nur was wert, wenn ich abliefere“) .
5. Angst vor Schuldgefühlen bei Erfolg
Bei Erfolg entstehen oft Schuldgefühle und die Frage “Habe ich das denn verdient?“. Auch wächst die Angst nicht mehr dazuzugehören, weil ich anders/besser bin, als die anderen.
6. Abwertung/Leugnung eigener Fähigkeiten bei Erfolg
Erfolge
werden nicht als Belege für das eigene Können gewertet. Glück, Zufall,
Timing, Optik und Beziehungen werden als wahre Gründe für den Erfolg
gehalten.
7. Nichtannehmen von Lob
Lob wird nicht als richtig und gültig anerkannt. Betroffene des IP werten es eher als Nettigkeit von anderen. Es bestärkt den Eindruck, man habe der Welt da draußen mit bravour ein falsches Bild von sich vermittelt (“Die halten mich für klug, hoffentlich merkt keiner den Betrug“).
“Es fühlt sich für mich so an, als ob jeden Moment jemand herausfinden könnte, dass ich eine totale Betrügerin bin und das, was ich bisher erreicht habe, gar nicht verdiene“ ~ Emma Watson
Das Gefühl eine Betrügerin zu sein kennzeichnet das Impostorphänomen. Dabei existiert ein Unterschied zwischen dem Gefühl des Betrügens und einem realen Betrug. Der reale Betrug umfasst z.B. Urkundenfälschungen, vorgetäuschte Fachkenntnisse, falsch angegebenes Vermögen und erschummeltes gesellschaftliches Ansehen. Der reale Betrüger verschafft sich Vorteile über Unwahrheiten und Täuschungen.
Betroffene des Impostorphänomens GLAUBEN, dass sie täuschen und betrügen, tun es faktisch aber nicht. Es handelt sich lediglich um eine verzerrte und rein subjektive Wahrnehmung.
Als Gegenbeispiel zum Impostorphänomen kann der DUNNING-KRUGER-EFFEKT genannt werden. Betroffene haben den Eindruck, sie sind kompetent und können viel, besitzen tatsächlich allerdings wenige Fähigkeiten und Kompetenzen.
Zum besseren Verständnis schau dir dazu die Abbildung auf Instagram an.
BEISPIEL zum IP
Lena kommt aus einer bodenständigen Familie. Ihre Mutter ist Schneiderin, ihr Vater Maler&Lackierer. Sie hat noch drei Geschwister und das Geld war immer knapp. In ihrer Familiengeschichte ist Lena die erste, die das Abitur macht. Sie beendet ihr ABI mit dem Notendurchschnitt 1,2 und studiert direkt im Anschluss Medizin. Ohne Wartezeit. Bereits im Studium begleitet sie das Gefühl, hier eigentlich nicht hinzugehören. Sie lernt viele Kommilitonen kennen, die aus Arztfamilien kommen. Lenas Noten sind weiterhin sehr gut. Sie vermutet, dass die Dozenten ihr einen „Mitleidsbonus“ geben, da sie aus einfachen Verhältnissen kommt. Oder, dass ihre Klausuren bei der Auswertung vertauscht wurden. Als ihr von einem Prof. die Möglichkeit angeboten wird, bei ihm eine Doktorarbeit zu schreiben, bekommt Lena richtig Angst, dass man dann entdecken könnte, dass sie doch eigentlich nicht viel kann. Lena fühlt sich wie eine Betrügerin und zweifelt an ihrer Kompetenz. Sie nimmt das Angebot dennoch an und investiert besonders viel Zeit und Mühe in diese Doktorarbeit. Ihre Kräfte reichen dabei kaum aus. Sie überarbeitet sich, hat ständig Kopfschmerzen und kaum noch Freizeit. Ständig begleitet sie die Angst, die anderen könnten entdecken, wer sie wirklich ist. Nämlich das dumme und einfache Mädchen vom Dorf. Lena ist vom Impostorphänomen betroffen.
„Die übertriebene Wertschätzung meines Lebenswerks beunruhigt mich. Ich fühle mich gezwungen mich als unfreiwilligen Betrüger zu betrachten“ ~ Albert Einstein
Betroffene des IP schätzen sich und ihre Leistungen verzerrt ein. Wie entsteht diese falsche und negative Selbstbeurteilung? Folgende Aspekte können (!) zu einem IP beitragen: ⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀
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✔ Leistung, Intelligenz & Erfolg. Diese drei werden als zentrale Werte über das Elternhaus und/oder das soziale Umfeld vermittelt. Der Betroffene des IP schlussfolgert, dass sein persönlicher Wert von seiner gezeigten Leistung abhängt. Oft wird er mit anderen verglichen: „Deine Schwester hat diesen Mathetest aber viel besser hinbekommen als du“.⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀
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✔ Familienuntypische Interessen & Bildungswege. Erinnerst du dich an das Beispiel mit der Medizinstudentin Lena? Sie geht einen familienuntypischen Weg und studiert, obwohl niemand sonst das in ihrer Familie getan hat. So können schnell Zweifel am eigenen Weg entstehen. Sie ist doch eigentlich “nur das dumme Mädchen vom Dorf“.
✔ Eigenschaftszuschreibungen durch die Eltern. Clance & Imes haben festgestellt, dass sich weibliche Betroffene des IP zwei Gruppen zuordnen ließen: die ÜBERLEGENEN und die SOZIAL-EMOTIVEN.
? Die ÜBERLEGENEN haben Zuhause gelernt, dass sie die besten und klügsten sind. Ohne Anstrengung ist man bereits perfekt und Mamas ganzer Stolz. Kinder versuchen dann meist diesem Bild auch gerecht zu werden. Sie merken allerdings schnell, dass sich dieser Prinzessinnenstatus nicht von alleine hält und man doch was tun muss, um im Leben voran zu kommen. Dies führt zu Zweifeln an der eigenen Intelligenz (“Wieso erfahre ich in der realen Welt, dass ich nicht so schlau bin, wie Mama immer sagt? Wieso klappt das alles nicht von alleine?“). Es wächst die Angst, den Anforderungen im Leben nicht gerecht werden zu können.
?Die SOZIAL-EMOTIVEN Kinder sind in ihrer Familie NICHT die intelligenten – jedenfalls sehen das die Eltern so. Dieser Platz ist bereits (durch Geschwister) belegt und somit bleibt die Rolle der Hübschen oder Sozialen übrig (“Dein Bruder ist super klug, du bist hübsch und nett“). Diese Rolle versucht das Kind zu erfüllen, möchte aber gleichzeitig auch mal die Gute sein. Die Familie wertet Erfolge und Leistungen nicht ausreichend und hält die verteilten Rollen aufrecht. Es entsteht beim Kind die Schlussfolgerung, dass die eigenen Leistungen also mehr mit der eigenen Schönheit oder dem nett sein zu tun haben, aber nicht mit der eigenen Intelligenz.
✔ Fehlende positive Verstärkung. Betroffene des IP erhalten in der Familie verhältnismäßig wenig positive Anerkennung für ihre Leistungen. Gute Leistungen sind normal, unwichtig oder einfach nicht erwähnenswert.
✔ Rollentausch (Parentifizierung). Das Kind schlüpft in die Erwachsenenrolle und versucht die Eltern zu versorgen und zufrieden zu stellen (z.B. über gute Noten, sportliche Leistungen, Geld verdienen). Dabei ist es (auch bei guten Leistungen) überfordert und erlebt Gefühle von Inkompetenz.
✔ Elterliche Kontrolle & Regeln. Betroffene des IP kennen aus ihrem Elternhaus viele Regeln und Kontrollen.
✔ Leistungen VOR Gefühlen. Gefühle sind im Elternhaus des Betroffenen unwichtig, nicht sichtbar oder #einfach kein Thema. Leistungen sind interessanter. Gefühle werden selten gezeigt oder gelebt. („Was hast du heute geschafft?“ ist wichtiger als „Wie fühlst du dich?“).
Psychotherapie, Coaching & Selbsthilfe
Du hast dich in den Beiträgen zum IP wiedergefunden? Vielleicht fragst du dich nun, was du tun kannst, um die negative Selbstbeurteilung und das unangenehme Gefühl zu verändern. Je nach Ausprägung des IP und individuellem Leidensdruck können Psychotherapie, Coaching und Selbsthilfe geeignete Interventionsmöglichkeiten sein.
? Psychotherapie. In der schwersten Ausprägung kann das IP zu Depressionen, Angststörungen und Burn-Out führen. Betroffen schildern z.B. folgende Gedanken: „Ich leiste nicht genug, also habe ich keine Berechtigung zum Leben“ oder „Ich fürchte mich so sehr davor entlarvt zu werden, dass ich lieber gar nicht mehr zur Arbeit gehe“ oder „Ich arbeite mittlerweile 7 Tage die Woche und es ist nie genug. Ich kann nicht mehr, aber ich kann damit nicht aufhören“. Kommen dir solche Gedanken bekannt vor, ist es ratsam sich Hilfe in einer Psychotherapie zu suchen. Bisher gibt es keine speziell auf das IP ausgelegte Psychotherapie. Sinnvoll ist jedoch eine individuell auf den Patienten ausgerichtete Behandlung, die optimalerweise die Bearbeitung des Themas SELBSTWERT beinhaltet. Eine Gruppenpsychotherapie kann parallel zur Einzeltherapie als zwischenmenschliche Realitätskorrektur funktionieren (Was denke ich über mich? Was nehmen andere bei mir wahr?). Die gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen übernehmen derzeit z.B. die Verhaltenstherapie, die Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und die Analytische Psychotherapie im Einzel- sowie Gruppenmodell.
Verhaltenstherapie (VT): Hier stehen das aktuelle Erleben und Verhalten eines Menschen im Vordergrund, weniger die Vergangenheit. Psychische Beschwerden werden als Ergebnis von Lernprozessen verstanden. Im Rahmen der Therapie sollen dysfunktionale Gedanken und Handlungen erkannt und anhand eines Behandlungsplans verändert werden. Von Sitzung zu Sitzung wird meist mit Hausaufgaben/Übungen gearbeitet. Vom Patienten wird eine aktive Haltung und auch praktische Mitarbeit erwartet.
Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (TP): Hier stehen das unbewusste Erleben und Verhalten eines Menschen im Vordergrund. Die TP geht davon aus, dass in der Vergangenheit innere Konflikte oder nicht bewältigte Beziehungserfahrungen entstanden sind, die zur damaligen Zeit nicht gelöst werden konnten. Heute führen sie (plötzlich) zu Problemen, Leid und Symptomen. Im Rahmen der Therapie soll es gelingen, solche unbewussten Konflikte und Beziehungserfahrungen bewusst zu machen und somit ein tieferes Verständnis für die Zusammenhänge und Ursachen der eigenen Probleme zu bekommen. Außerdem werden konkrete Lösungsmöglichkeiten für das Leben im Hier und Jetzt erarbeitet.
Analytische Psychotherapie (AP): Hier steht ebenfalls das unbewusste Erleben eines Menschen im Vordergrund. In der Kindheit und im Verlauf seines Lebens sind bestimmte Prägungen oder innere Konflikte entstanden, so dass zukünftige Herausforderungen, wie z.B. die Beziehungsgestaltung mit anderen Menschen, nicht gut gemeistert werden können. Über freie Assoziation und thematisch offene Stunden (es wird also erzählt, was in der Sitzung einfällt) soll es möglich werden, tief vergrabene Inhalte bewusst werden zu lassen. In der Beziehung zum Therapeuten wiederholen sich im Normalfall typische Denk- und Beziehungsmuster. So werden sie sichtbar und können gemeinsam bearbeitet werden.
? Coaching. Coaching kann beim IP hilfreich sein, weil es u.a. entlastend wirkt. Das eigene Empfinden und Erleben kann analysiert und benannt werden. Im nächsten Schritt wird es mit geeigneten Methoden bearbeitet. Ein Coaching sollte sich auf die Stärkung der SELBSTWIRKSAMKEIT, des SELBSTBEWUSSTSEINS und der eigenen RESSOURCEN beziehen. Eine Möglichkeit ist die ARBEIT MIT DEM INNEREN TEAM nach Friedemann Schulz von Thun.
Ein Beispiel: In unserer Falldarstellung überlegt sich Medizinstudentin Lena, ob sie ihre Doktorarbeit weiterführen soll. Sie möchte also eine Entscheidung treffen. Ja oder Nein. Lena ist nun die Teamleitung ihres inneren Teams. Sie hat am Ende das letzte Wort und wird die Entscheidung nach außen, also im realen Leben, vertreten. In Lenas Kopf gibt es nun mehrere Teammitglieder, die sich an einen imaginären Tisch setzen. Lena malt sich diesen Tisch und das Team auf ein Blatt Papier, um es besser vor Augen haben zu können. Jedes Teammitglied repräsentiert in Form von Stimmen, Ressourcen, Gedanken, Gefühlen und Impulsen einen inneren Teil ihrer Persönlichkeit. Die Stimme des Hochstaplers in ihr sagt, sie sei nicht gut genug und sie muss sich unbedingt mehr anstrengen, damit keiner den Schwindel bemerkt! Ihre Ressource die Intelligenz sagt, sie sei doch ziemlich clever und hat bisher alles super hinbekommen. Eigentlich hat sie doch nie wirklich gelogen! Ihre Gedanken sagen, es ist Zeit für eine Veränderung. So geht es nicht weiter! Ihr Gefühl sagt, es ist Zeit sich auch mal zu belohnen! Urlaub, Auszeit, Pause! Die Erinnerung an die Worte ihrer Oma sagen, „Kindchen, ich hab dich lieb, egal was im Leben passiert“. Ihr Impuls sagt, mach schnell, handele, verlier keine Zeit, hophop! Und so gibt es verschiedene Teammitglieder, die alle an Lenas imaginärem Tisch sitzen, sich unterhalten und ihre Argumente vorbringen. Am Ende schaut Lena auf ihr Blatt Papier und all die Argumente, die sie mitgeschrieben hat. Sie erkennt, dass die Stimme des Hochstaplers in ihr nur eine von vielen ist. Und dass sie dieser Stimmer bisher am meisten Gewicht gegeben hat. Die war einfach am lautesten. Wer am lautesten schreit, hat immer Recht? Lena entscheidet sich nun, dem Gefühl ein größeres Stimmrecht zu geben. Urlaub. Auszeit. Pause. Die Entscheidung ist gefallen. Am nächsten Tag bespricht sie mit ihrem Prof., dass sie ihre Doktorarbeit gerne ein Semester lang ruhen lassen möchte, um einen längeren Urlaub in Australien zu machen. Das ist ok für ihn. Lena bentragt ein Urlaubssemester und bucht ihre Flüge.
Weitere geeignete Cochingstrategien zum IP sind: die Säulen der Identität, Kompetenzprofil & Potenzialanalyse, familiäre und berufliche Biografie, Familien- und Systemaufstellungen, die Analyse sozialer Beziehungen und beruflicher Netzwerke. Auch gesundheitsorientiertes Coaching (Resilienztraining, Stressbewältigungstraining) kann hilfreich sein.
? Selbsthilfe. Sind die Ausprägungen des IP leicht, kann eine geeignete Selbsthilfe völlig ausreichend sein. Hierfür gibt es einige Ratgeber auf dem Markt. Mount & Tardanico (2014) empfehlen in ihrem Buch „Beating the Impostor Syndrome“ z.B. die folgenden Schritte:
1. Faktenorientierung! Die Aufmerksamkeit des IP-Betroffenen sollte sich auf die Fakten und die objektiven „Beweise“ richten. Abschlüsse, Preise, gute Bewertungen – das alles sollte sich der IP-Betroffene immer wieder vor Augen halten.
2. Eigene Begrenzungen überwinden! Die inneren Grenzen sollten immer wieder bewusst angegangen und überwunden werden. Der Goldene Käfig in dem wir sitzen ist oft maßangefertigt und hausgemacht.
3. Stärkenkonzentration! Der Fokus soll sich auf die eigenen Stärken und nicht auf die eigenen Schwächen ausrichten. „Was kann ich? Worin bin ich gut? Wann profitieren andere von meinem Wissen? Was kann ich sinnvolles beitragen?“ anstatt „Was kann ich alles nicht? Worin bin ich schlecht? Wann bin ich nicht hilfrech für andere?“.
4. Austausch! Der Austausch mit anderen Betroffenen kann entlastend wirken. Zu seinen Gefühlen zu stehen ist kein Zeichen von Schwäche. Fragt man im Freundes- und Bekanntenkreis herum, findet sich meist noch jemand mit diesem Phänomen. Auch die Nutzung von Social Media kann hilfreich sein, um andere Betroffene kennenzulernen.
Literatur
Asgodom, S. (1999). Eigenlob stimmt. Erfolg durch Selbst-PR. München: Econ
Clance, P.R. (1988). Erfolgreiche Versager. Das Hochstapler-Phänomen. München: Heyne
Clance, P.R. (1985). The impostor phenomenon: Overcoming the fear that haunts your success. Atlanta, GA: Peachtree.
Cozarelli, C. & Major, B. (1990). Exploring the validity of the impostor phenomenon. Journal of Social and Clinical Psychology, 9 (4), 401-417.
Friedemann Schulz von Thun: Miteinander reden 3 – Das ‚innere Team‘ und situationsgerechte Kommunikation. Rowohlt, Reinbek 1998
Klinkhammer, M. & Saul-Soprun, G. (2009). Das „Hochstaplersyndrom“ in der Wissenschaft. Organisationsberatung, Supervision, Coaching, 16 (2), 165-182.
Kruger, J. & Dunning, D. (1999). Unskilled and unaware of it: How difficulties in recognizing one’s own incompetence lead to inflated self-assessments. Journal of Personality and Social Psychology, 77, 1121-1134
Langford, J. & Clance, P.R. (1993). The Impostor Phenomenon: Recent research findings regarding dynamics, personality and family patterns and their implications for treatment. Psychotherapy 30 (3), 495-501
Mount, P. & Tardanico, S. (2014). Beating the Impostor Syndrome. Greensboro, CL: CCL Press.
Rohrmann, S. (2019). Wenn große Leistungen zu großen Selbstzweifeln führen. Das Hochstapler-Selbstkonzept und seine Auswirkungen. hogrefe
Ross, S.R. & Krukowski, R.A. (2003). The impostor phenomenon and maladaptive personality: type and trait characteristics. Personality and individual differences, 31 (3), 477-484.